Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Predigt Jeremia 9, 22-23 „Wer sich rühmen will …“

Septuagesimae 5.Februar 2012 Eisenstadt (Einführung des Presbyteriums und Dank an die ausgeschiedenen Gemeindevertreter) und Neufeld

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus!

Ja, liebe Gemeinde, ich habe diesen Predigtabschnitt nicht ausgesucht, der uns für den heutigen Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) vorgeschlagen ist, den Drittletzten Sonntag vor der Passionszeit.

Und wieder, wie vor sechs Jahren, fällt die Einführung des neuen Presbyteriums genau auf diesen Sonntag.

Beim Propheten Jeremia lesen wir im 9.Kapitel:

So spricht der Herr:

Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,

ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,

ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

Sondern wer sich rühmen will,

der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne,

dass ich der Herr bin,

der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;

denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

Wer sich rühmt … Wessen rühmen wir uns … Woraus leiten wir unseren Wert ab … Was ist uns wichtig, lieb und wert … Worauf bilden wir uns etwas ein … Was sind unsere Stärken, was sind unsere Schwächen … und was meint Gott dazu?

  1. Wovon leiten wir unseren Wert ab?

Eine der Grundsätze unserer Gesellschaft ist sicher, deutlich oder unterschwellig: Du bist etwas wert, wenn Du etwas leistest. Erfolg im Beruf, Schulterklopfen von Freunden oder auch von Schleimern.

Dass Leistung wichtig ist, ist unbestritten. Erfolg ist etwas Schönes, mit Demut genossen.

Aber wenn einer dann nicht so viel leisten kann …

Und wenn sie vielleicht nicht so belastbar ist …

Und wenn bei der Zusammenlegung zweier Firmen alle über 50 als „altes Eisen“ aussortiert werden?

Und was ist mit Menschen mit Behinderungen?

Ich erlebe es auch in der Schule ganz deutlich, gerade am Ende des Semesters. Du bist etwas wert, wenn du etwas leistest, wenn du gute Noten hast. Und wenn du etwas schlechtere Noten hast, dann bist du halt ein bisschen weniger wert. Und mit einem Fleck bist du ein Versager.

Die Angst der Schülerinnen und Schüler vor einem Fünfer in der 4.Klasse, der ihnen den Wechsel in eine andere Schule verbaut.

Die Angst sitzt tief, nicht nur bei den Schülern, auch am Arbeitsplatz, auch im Privatleben:

Du bist etwas wert, wenn du etwas leistest.

Du bist nur so viel wert, wie du leistest.

Dieses ganze System, diese Grundhaltung, die den Wert eines Menschen von seiner Leistung abhängig macht, ist zutiefst unchristlich, unevangelisch und auch unmenschlich.

Das Evangelium, die Frohe Botschaft Gottes an uns Menschen, sagt uns etwas völlig anderes: Nämlich: Du bist etwas wert, weil du bist, weil du da bist … und Mensch bist, weil Gott dich geschaffen hat nach seinem Ebenbild …

Du bist etwas wert, weil Gott dich lieb hat … ob stark oder schwach, ob jung oder alt, ob sprühend vor Kraft oder auf dem Zahnfleisch kriechend… ob im BMW oder in Windeln …

Du bist etwas wert, weil Gott dich lieb hat.

Die Frage stellt sich dabei natürlich auch nach unserem Selbstbewußtsein .. so oft schwankend zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Überheblichkeit. Das ist die persönliche Seite, die jeder/ jede immer wieder für sich beantworten muss.

Für uns als Christinnen und Christen, die dem Evangelium und Jesus Christus verpflichtet sind, ergibt sich ein ganz klarer Auftrag:

Der Unmenschlichkeit zu widerstehen, dass der Wert und die Würde eines Menschen an seine Leistung und seine Leistungsfähigkeit geknüpft werden.

Das führt uns zum

  1. Wie gehen wir mit unseren Gaben um?

„Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“

So könnte man unseren Predigtabschnitt zusammenfassen.

Das heißt aber nicht: Ach, ich bin doch nichts wert, andere sind viel besser und eloquenter und erfahrener. Ich ziehe mich, leise weinend, resignativ in meine Ecke zurück.

Nein, in unserem Predigtabschnitt wird es ganz positiv gesagt: Es gibt Leute, die sind weise, die sind stark, die sind reich. Es gibt Leute, die haben Begabungen.

Die können singen und Lieder schreiben, die können Torten backen und häkeln, die können organisieren und andere mitreißen.

Die können auch leise sein und zuhören und die kaum getrocknete Träne im Auge des anderen sehen … und an ihre Schulter darf man sich anlehnen.

Jeder hat seine Begabungen … wichtig ist es, nicht auf die Begabungen anderer zu schielen und darauf eifersüchtig zu sein oder traurig zu werden, sondern herauszufinden und wahrzunehmen, wo die eigenen Begabungen sind.

Was das ist, was Gott in unser Herz und in unser Leben hineingelegt hat und was uns so unverwechselbar macht.

Und diese Gaben auch zu entfalten und für andere einzusetzen.

Und so komme ich zu zwei Entfaltungen, die heute noch eine Rolle spielen werden.

# Der Dank an die Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter, die der neuen Funktionsperiode nicht mehr angehören. Die sich mit ihren Begabungen in unsere Gemeinde eingebracht haben, jahrelang, jahrzehntelang. Als ein Beispiel möchte ich nur Harald Rabelhofer nennen, der 24 Jahre lang, vier Perioden, im Presbyterium und als Verantwortlicher der Schätze der Gemeinde tätig war – und vorher schon einige Jahre als Gemeindevertreter.

# Und in diesem Gottesdienst werden die neugewählten Mitglieder des Presbyteriums in ihr Amt eingeführt. Sie haben am 1.Jänner die leitende Verantwortung in unserer Gemeinde für die nächsten sechs Jahre übernommen.

Es ist ein Vorrecht unserer evangelischen Kirche, dass die Gemeindeglieder die Gemeindevertretung wählen und diese das Presbyterium. Wahlen sind manchmal langweilig und manchmal spannend … letzteres war bei uns sicher der Fall und wird auch noch der Fall sein.

In der evangelischen Kirche tragen die gewählten Amtsträger Verantwortung sowohl im weltlichen, finanziellen, rechtlichen als auch im geistlichen Bereich.

Amtsträger …

Amt

Das hat in Österreich traditionsgemäß einen schalen Geschmack … so in Richtung Amtskappelmentalität.

Daher ist es nicht uninteressant, dem ursprünglichen Sinn des Wortes etwas nachzugehen.

Amt bedeutet im Althochdeutschen „Dienst und Auftrag“.

Die griechische Entsprechung ist „diakonia“ – davon leitet sich die Diakonie ab, die praktische Hilfe am Nächsten, mit der röm.kath. Caritas vergleichbar.                                         Das lateinische Wort für „Amt“ ist „ministerium“ – das geht in dieselbe Richtung: Dienst, Amt, Dienstleistung.

Ein „Minister“ ist also im wörtlichen Sinn nicht ein Oberchef, sondern ein Diener, sei es im politischen oder geistlichen Bereich. Vielleicht wäre es gut, sich gelegentlich daran zu erinnern.

[Übrigens ist eine der alten wesentlichen Bezeichnungen für den Pfarrer oder Prediger oder Hirten „minister verbi divini“ – Diener am göttlichen Wort.]

Diese kleine Blütenlese ist mehr als eine Sprachspielerei. Sie macht den Auftrag derer deutlich, die eine Verantwortung übertragen bekommen haben. Ein Mandat. Und Mandat heißt wörtlich übersetzt: Etwas, das anvertraut worden ist.

So erinnert uns dieser Predigtabschnitt aus dem Alten Testament am Beginn der neuen Funktionsperiode an unsere Motivation, warum wir ein kirchliches Amt übernehmen: aus Liebe zu Gott und zu den Menschen, im Glauben an Jesus, (unser Motto für die GV-wahl) „weil mir meine Gemeinde am Herzen liegt.“

Und nicht zuletzt: Wir sind als Verantwortliche einer Pfarrgemeinde nicht für uns selber da, auch nicht nur für die Kirche, sondern für die Menschen, um ihnen das Evangelium glaubwürdig liebzumachen.

Und gemeinsam mit allen Christinnen und Christen ist es heute mehr denn je notwendig, in einer Gesellschaft, die teilweise sehr kalt geworden ist, den Glauben an den lebendigen Gott gemeinsam zu bekennen und zu leben.

Darum antworten die Mitglieder des Presbyteriums nach unserer liturgischen Ordnung auch nicht mit „Weil wir so gut sind, und weil wir uns so gut auskennen, und weil wir Erfahrung haben“, sondern mit „Ja, mit Gottes Hilfe.“.

  1. Die Bitte um Weisheit

So spricht der Herr:

Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,

ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,

ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.

Sondern wer sich rühmen will,

der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne,

dass ich der Herr bin,

Klugheit … Weisheit

Sie erinnern sich vielleicht an den König Salomo, den Sohn von König David. Ihm erschien Gott im Traum: „Bitte, was ich dir geben soll …“

Und Salomo bat nicht um Reichtum und Macht, sondern um ein gehorsames Herz und um Weisheit, um das Volk Gottes zu richten, das heißt zu leiten. Er bat darum, zu verstehen, was gut und böse ist.

Gott, so wird berichtet, gefiel diese Antwort sehr und hat dem König Salomo auch noch alles dazugegeben, worum er nicht gebeten hatte.

Klugheit … Weisheit …Verständnis … eine Bitte, der sich alle Verantwortlichen nur anschließen können, auch die einer Pfarrgemeinde.

Als eine ganz wesentliche Gabe des Geistes wird im NT die Gabe der Unterscheidung der Geister genannt. Sie wird in Zukunft wahrscheinlich besonders wichtig sein.

Darum erbitten wir bei der Einführung des neuen Presbyteriums ganz ausdrücklich singend die Hilfe des Heiligen Geistes.

  1. Und über allem die Barmherzigkeit Gottes

Sondern wer sich rühmen will,

der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne,

dass ich der Herr bin,

der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;

denn solches gefällt mir, spricht der Herr.

Über allem steht die Barmherzigkeit Gottes. Über unserem persönlichen Leben, über unserer Gemeinde.

Vieles ist wichtig in der Kirche. Auch die richtige Lehre. Auch Gebäude, die dem Glauben Raum geben. Finanzen und Organisatorisches, Amtshandlungen und Gottesdienste … und Vieles, Vieles mehr …

Aber ganz tief innen, im Herzen der Kirche, im eigenen Herzen leben wir von der Barmherzigkeit Gottes … beten wir darum, dass unsere Gemeinde ein Raum ist, in dem Menschen, Gemeindeglieder oder auch sogenannte Außenstehende, diese Barmherzigkeit erleben und spüren. Einen Raum zum Aufatmen finden (das Leben ist hart genug), eine Kraftquelle und einen Anreiz zum lebendigen Glauben an Jesus Christus.

  1. Wovon leiten wir unseren Wert ab?
  2. Wie gehen wir mit unseren Gaben um?
  3. Die Bitte um Weisheit
  4. Und über allem die Barmherzigkeit Gottes

Amen.

Lied EG 355, 1-3: Mir ist Erbarmung widerfahren