Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus!

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

Uralte Worte, vor Jahrtausenden aufgeschrieben am Anfang des 9.Kapitels des Propheten Jesaja.
Und doch nach wie vor aktuell, gerade heuer:
Das Volk, das im Finstern wandelt …

Ein Schatten liegt über diesem Weihnachtsfest und besonders in den Tagen danach. Familienbesuche, die gerade in diesen Tagen traditionell wichtig sind, werden eingeschränkt. Ich brauche das nicht näher erklären. Es ist nicht Aufgabe einer Weihnachtspredigt, die Nachrichten nachzuerzählen, die Sie ohnehin täglich vorgesetzt bekommen.

Während der Vorbereitung auf diese Predigt hat uns – übrigens auf Umwegen – die Nachricht erreicht, dass die öffentlichen Gottesdienste nach Weihnachten bis 17.1. ausgesetzt werden sollen. Das Presbyterium, zuständig für Ort und Zeit der Gottesdienste, hat dieser Übereinkunft zwischen Religionsgemeinschaften und Kirchen und der Empfehlung unserer Kirchenleitung zugestimmt.
Mit einer Ausnahme: den meditativen Jahresabschlussgottesdienst am Silvestertag werden wir gemeinsam feiern.

Das Volk, das im Finstern wandelt …
Besondere Gottesdienste am Hl. Abend.

Ich lade Sie ein zu einem historischen Rückblick, der manchen unter uns vertraut ist.
Gottesdienst am Hl. Abend in der ehemaligen evangelischen Kirche in Lemberg, heute Lwiw [lʲʋiu̯].
Bis 1918 einer wichtigsten Städte im Osten der österreichisch-ungarischen Monarchie, mit einer regelmäßigen Eisenbahnverbindung nach Wien, später polnisch, dann russisch, heute Westukraine.
Für mich eine der interessantesten Städte Europas neben Krakau und Breslau.

Unsere Gemeindefahrt vor zehn Jahren führte uns nach Galizien, auch nach Czernowitz und Lemberg. Wir haben uns vertraut gemacht mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit, mit den Schriftstellern und Schriftstellerinnen Paul Celan, Rose Ausländer, Manes Sperber, mit dem Religionsphilosophen Martin Buber, dessen Großvater Rabbi in Lemberg war. Und auch Joseph Roth aus Brody, der entlegensten Grenzstadt der Monarchie.
Und auch auf den Spuren von Theodor Zöckler in Stanislau, heute Iwano-Frankiwsk, einem der Mitgründer und ersten Vorsitzenden der „Inneren Mission“, heute „Diakonie“ in Österreich. Durchaus wahrzunehmen: Die ersten Anfänge unserer Diakonie finden sich ganz im Osten der Monarchie, in Galizien – und in Görz mit den Brüdern Schwarz – Gallneukirchen und Waiern – und der Gräfin Evelyn de la Tour – Treffen. Auch diese Stätten haben wir auf unserer Gemeindefahrt auf den Spuren des slowenischen Reformators Primus Truber im Jahr

„Was, so weit in den Osten fahrt ihr“, hat mich mein damals noch lebender Schwiegervater gefragt. Er lebte nach dem Tod der Mutter meiner Frau in zweiter Ehe in Karlsruhe.
Meine Antwort: „Lieber Schwiegervater, von Eisenstadt aus sind Karlsruhe und Lemberg auf den Kilometer gleich weit entfernt. Die Grenzen liegen nur im Kopf … und auf den damals noch schlechteren Straßen.“

In der ehemaligen evangelischen Kirche zu Lemberg, heute gehört sie den Baptisten, haben wir eine Andacht gehalten.
Ein Teilnehmer brach in Tränen aus, weil er die Erinnerungstafel seines Großvaters – alle Pfarrer wurden dort mit Erinnerungstafeln sozusagen verewigt – gesehen hat.
Ein anderer fand auf einem der Friedhöfe die Gräber seiner Vorfahren. Ein anderer das Geschäft, das seinem Onkel gehörte.
Eine Teilnehmerin fragte, ob es den Ort „Weinbergen“ in der Nähe von Lemberg noch gäbe.
Unser einheimischer Reiseleiter Jurij lächelte: „Das ist heute ein Stadtteil von Lemberg und morgen werden wir dort ein ukrainisches Hochzeitsmahl bekommen – das Lokal gehört meinem Bruder.“
Und unser Gemeindeglied konnte den Ort erkunden, in dem ihre Mutter geboren wurde und aufgewachsen ist.

Im ehemaligen Galizien gab es viele deutsche Dörfer, u.a. Dornberg in der Nähe von Lemberg.
Deutsche Evangelische siedelten sich dort am Ende des 18.Jahrhunderts an. Auf dem Friedhof sind fast ausschließlich deutsche Namen zu finden.

Wie viele andere deutsche Orte in der Gegend zeigt der Ortsgrundrisses eine planmäßige Schachbrettstruktur, mit Kirche und umgebendem Platz im zentralen Feld in der Ortsmitte, einem sie umgebenden Park, regelhaft - wie die Achsen eines Kreuzes - angelegte Alleen.

Aufgrund des sogenannten Hitler-Stalin-Paktes 1939 – der auch die baltischen Länder tief getroffen hat – mussten die evangelischen Dornfelder ihre nun angestammte Heimat verlassen. Um in den so freundlich präsentierten Warthegau umzusiedeln, der darauf überhaupt nicht vorbereitet war.

Und so mussten die Dornfelder Evangelischen am 23.Dezember 1939 – einen Tag vor dem Hl. Abend ihren Ort verlassen – in eine ungewisse Zukunft
Und saßen – großteils tief gläubig am Hl. Abend in der Evangelischen Kirche in Lemberg.

Univ.Prof. Dr. Karl Schwarz hat mit uns im Jahr 2010 die Andacht in dieser Kirche gehalten und hat als Historiker herausgefunden, worüber an diesem Hl. Abend 1939 in Lemberg mit den Ausgewiesenen aus Dornfeld gepredigt worden ist:
Lukas 9,62: „Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
Die Predigt hielt damals Pfarrer DDr. Hans Koch, Übersetzer ukrainischer Lyrik ins Deutsche, nach dem Krieg einer der prägenden geistlichen Persönlichkeiten der Steiermark als „Vikar von Aich“ nahe Gröbming, ein Vorreiter der Ökumene in Österreich und dann Direktor des Osteuropa-Instituts München und Professor für Gesellschaft und Politik Osteuropas in München.
Als Konrad Adenauer 1955 nach Moskau reiste, um dort Verhandlungen über die Aufnahme von Beziehungen zur Sowjetunion zu führen, begleitete ihn Koch als „wissenschaftlicher Berater“ und Dolmetscher.

Hl. Abendgottesdienst 1939 in Lemberg.
Das Volk, das im Finstern wandelt …

Ich habe in den letzten Tagen öfters daran gedacht … an die Evangelischen aus Dornfeld am Hl. Abend in der Kirche in Lemberg.

Weihnachten im Schatten der Pandemie. Und trotzdem ein Zuhause. Manchmal einsam und getrennt von den Lieben, mit denen wir das Fest gerne gemeinsam verbracht hätten.
Unsere jüngste Tochter Solveig, die ihm Hochsauerland in Nordrhein-Westfalen als Diakonin und Gemeindepädagogin arbeitet, kann ohne Quarantäne nicht zu uns kommen.

Und trotzdem: Seid achtsam und behütet. Und dankbar dafür, dass Ihr ein Zuhause habt, eine hoffentlich warme Wohnung und dass Ihr einander habt.
Vielleicht ist diese Krise mit ihren Ausgangssperren auch eine Chance, dankbar füreinander zu sein und einander – wieder – näher zu kommen.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.

Mitten hinein in die Dunkelheit scheint ein Licht.
Und bei denen, die in diesem Dunkel wohnen, wird es hell.
Ein Licht geht ihnen auf.

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht wie mir. Diese Vision des Propheten Jesaja vor langer, langer Zeit überspringt mühelos den Graben der Geschichte und landet mitten unter uns, trifft unsere Situation und wohl auch unsere Herzen.

Mitten hinein in die Dunkelheit scheint ein Licht.
Und welches Leben gäbe es ohne dieses Dunkel, ohne Schatten.
Darüber nachzudenken, das auch zuzulassen, kann hilfreich sein.
Wo ist es dunkel in mir und um mich?
Welche Schatten legen sich über meine Tage und Nächte?
Wovor habe ich Angst, begründet manchmal, manchmal aber auch unbegründet und darum noch weniger greifbar.

Manchmal ist es notwendig - die Not wendend - diese eigenen Dunkelheiten nicht zu verdrängen, sondern zuzulassen, sie ernst zu nehmen.
Aber dann nicht dabei stehen oder sitzen zu bleiben, sondern unsere Blicke und Gefühle wieder dem Licht zuzuwenden.

Mitten hinein in die Dunkelheit scheint ein Licht.
Und bei denen, die in diesem Dunkel wohnen, wird es hell.
Ein Licht geht ihnen auf.
Und dieses Licht, das braucht ihr nicht für euch behalten. Das dürft ihr weitergeben. „Ihr seid das Licht der Welt.“
Das, was ihr empfangen, verstanden, empfunden habt, / was ihr glaubt – das gebt weiter … in eurer Familie, unter Freunden, im Beruf, in all euren Lebensbereichen.
Damit dieser Welt und dieser Stadt und eurer Ortschaft ein Licht aufgeht.

Eine Kerze allein schon erhellt den Raum. Wieviel mehr erst viele Kerzen.

Und ich sehe heute so viele Herzen, die das Licht von Weihnachten widerspiegeln. Wie schön wäre es, wenn Viele zusammen leuchten und dieses Licht weitertragen. Im eigenen Umfeld, aber auch für unsere Gemeinde.
Dann könnten wir Boten sein … Boten des Lichts … und Bote ist eigentlich die Übersetzung, ein anderes Wort für Engel.

Engel des Lichts (Annette Soete, leicht ergänzt, in: Praxishilfe Weihnachten, 198)
Hast du
den Engel des Lichts
gesehen

sanft
streift er
durch die Nächte
der Welt

legt hier
seine Hand auf ein Stöhnen

blickt dort
voll Erbarmen
der Angst in die Augen

und sagt
in den Schrei der Verzweiflung
sein lichtendes Wort

hast du
den Engel des Lichtes
gesehen

hier war er
und dort
und doch überall

er streift durch die Nächte dieser Welt
und gräbt
in die Finsternis tief
den Samen des ewigen Morgens

streut Schweigen
in jegliche Not

hast du
den Engel des Lichtes
gesehen

er trägt
deine Nacht
in seinen Händen

du findest ihn
immer
in dir
oder er begegnet dir
unerwartet
im gesicht
in der hand
nebenan
unerwartet
in einem lieben wort
einer hand auf der schulter

manchmal
stellt er
unbemerkt
eine kerze
in deine schattenräume

der engel des lichtes

vielleicht
bist auch du
manchmal
ein solcher engel
für andere
die ihn nötig haben
Amen.